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Erste Erkenntnisse der Reform

Nach der Reform der Detailhandels-lehre 2022 wurde, kaum ein Jahr später, auch die kaufmännische Lehre umfangreich reformiert. Ziele der Reform: Die Lernenden werden optimal auf die künftige Arbeitswelt vorbereitet. Der erste Jahrgang des Detailhandels ist im Sommer 2022 und der erste Jahrgang des KV im vergangenen August gestartet. Im Interview mit zehn unterschiedlichen Lehrbetrieben werden Fragen direkt aus der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung beantwortet.


Unsere Fragen an die Lehrbetriebe

1.Frage: Kurzporträt des Unternehmens (d.h. Lehrbetriebs-grösse, Anzahl Lernende, wie lange und weshalb bildet der Lehrbetrieb Lernende aus)

2.Frage: Was war Ihr Erfolgsrezept, damit Sie pünktlich und erfolgreich mit der neuen beruflichen Grundbildung (KV und/oder Detailhandel) in Ihrem Lehrbetrieb starten konnten?

3.Frage: Das Konzept sieht vor, dass die Lernenden im Lehrbetrieb Praxisaufträge erarbeiten müssen. Wie funktioniert dies nun in Ihrer Praxis?

4.Frage: Welchen spezifischen Herausforderungen rund um die revidierten Lehrberufe begegnen Sie aktuell in Ihrer Ausbildung? Und wie lösen Sie diese?

5.Frage: Die Gretchenfrage zum Schluss: Was bringt die Reform den Lernenden und den Lehrbetrieben?


BAFU: Christina Häni, Berufsbildnerin

Antwort 1: Das Bundesamt für Umwelt hat ca. 640 Mitarbeitende und bildet 22 Lernende aus, darunter Mediamatiker:innen EFZ und Kauf-leute EFZ/EBA. Ich begleite Lernende seit 26 Jahren als Berufs- und Praxisbildnerin. Jede:r Lernende ist einzigartig und benötigt individuelle Lösungen, um erfolgreich zu sein

Antwort 2: Der Besuch von Branchen-kursen und mein frühzeitiges Engagement bei der neuen Bildungs-verordnung halfen, meinen Praxis-bildner:innen Sicherheit für den Start zu vermitteln. Ab August war die Unterstützung (für Lernende und Praxisbildner:innen) ein zentraler Aspekt, um die Umsetzung der BiVo in der Praxis zu gewährleisten.

Antwort 3: Die Konzentration auf die Handlungskompetenzen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Menge an Praxis-aufträgen im ersten Semester ist jedoch zu hoch, was Lernende und Praxisbildner:innen überfordert. Die Dokumentation macht zusätzlichen Aufwand und die Lernenden haben nach sechs Monaten im Vergleich zu früheren Generationen weniger Fachwissen und Routine. Vertrauen wir darauf, dass sich diese Situation in den nächsten 2,5 Jahren ausgleicht und die BiVo23-Lernenden ihre Vorgänger übertreffen.

Antwort 4: Ich erlebe die Einführung einer neuen Bildungsreform zum dritten Mal und bin mir bewusst, dass jeder Start holprig ist. Es besteht jedoch eine grosse Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. Im ersten Semester müssen viele Grundlagen vermittelt werden, darunter die Bedienung von Geräten, Ordnung und Pünktlichkeit. Oftmals habe ich die Aussage gehört, dass die Lernenden vor lauter Praxisaufträgen gar nicht zum Arbeiten kommen. Eine Aussage die ich sofort unterschreibe! Wir setzen auf kreative Lösungen im Berufsalltag, ähnlich dem MacGyver-Ansatz aus der gleichnamigen Serie, bei dem aus äusserst widrigen Umständen das Beste gemacht wird, und versuchen, Synergien zwischen Lehrbetrieben zu nutzen. Die Praxisbildner:innen sind für mich die wahren Helden der Reform.

Antwort 5: Nach nur sechs Monaten ist eine abschliessende Bewertung der neuen Bildungsverordnung schwierig. Es bleibt zu hoffen, dass die Bedürfnisse der Lehrbetriebe gehört werden und dass die Branchen flexibel und zeitnah auf die Rückmeldungen eingehen. So schaffen wir eine «Win-Win-Win-Situation» für Lernende, Lehrbetriebe und die Berufsbildung in der Schweiz.


Coop: Sabrina Schönegger, HR Leiterin und Lernendenbetreuung

Antwort 1: Wir sind für die Region Ostschweiz zuständig. In unserem Gebiet gibt es 139 Coop-Verkaufs-stellen, 23 Coop-Restaurants und zwei Verteilzentralen (Gossau und Chur). Wir betreuen insgesamt 200 Lernende. Lehrlingsausbildung hat bei Coop eine jahrzehntelange Tradition und ist ein Teil der HR-Strategie. Einen grossen Teil unserer Nachwuchskräfte rekru-tieren wir aus ehemaligen Lehr-abgängern. Wir bilden folgende Berufe aus: Systemgastronomiefachmann/-frau EFZ, Logistiker:in EBA und EFZ, Strassentransportfachmann/-frau EFZ, Lebensmitteltechnologe/-in, Bäcker:in EFZ, Kaufmann/Kauffrau EFZ, Detail-handelsassistent:in, Detailhandels-fachmann/-frau.

Antwort 2: Grundsätzlich sind wir immer offen für Neues. Wir haben die Betroffenen von Beginn weg zu Beteiligten gemacht. Konkret: Die Berufsbilder:innen wurden über Erneuerungen/Aktuelles etc. immer informiert und miteinbezogen.

Antwort 3: Gut bis sehr gut. Wichtig ist, dass die Lernenden gut angeleitet und am Anfang individuell begleitet werden. Durch das selbstorientierte Lernen werden die Lernenden selbstständiger und selbstbewusster.

Antwort 4: Eigentlich waren wir positiv überrascht, wie gut die neue Reform bei den Berufsbildnern und den Ausbildern in der Praxis angewendet und umgesetzt wird. Wir haben mehrheitlich positive Rückmeldungen erhalten.

Antwort 5: Wir sind der festen Überzeugung, dass der handlungskompetenzorientierte Unterricht in den Berufsfachschulen sowie das selbstorientierte Lernen im Betrieb einen Nutzen für die Lernenden im Sinne der Arbeitsmarktfähigkeit darstellen.


EDA: Barbara Krebs-Ledermann, Chefin Berufliche Grundbildung

Antwort 1: Beim EDA arbeiten 5400 Mitarbeitende. Wir bilden seit den 80er Jahren aus. Etwa 56 Lernende in verschiedenen Lehrberufen absol-vieren ihre Ausbildung bei uns. Die Lernendenausbildung ist fest in der Personalstrategie der Bundesverwaltung verankert.

Antwort 2: Gute Informationen, die wir durch die Branche erhalten haben, Eigenrecherche und Engagement, Netzwerken und Wissensaustausch sind wichtige Informationsquellen. Im Lehrbetrieb ist die Einbeziehung der Berufs- und Praxisbildner:innen entscheidend.

Antwort 3: Die Praxisaufträge sind grundsätzlich gut, da sie handlungsorientiert sind. Die Zuteilung der Aufträge pro Semester ist spannend, aber komplex und bietet wenig Flexibilität bezüglich des Zeitraums.

Antwort 4: Die Einsatzplanung ist unsere grösste Herausforderung: aufgrund ständiger Veränderungen inkl. Mitarbeiterwechsel und den individuellen Bedürfnissen der Lernenden. Flexibilität und gute Zusammenarbeit sind entscheidend, da immer weniger Mitarbeitende bereit sind, Lernende auszubilden.

Antwort 5: Die Reform macht die Ausbildung handlungsorientierter und bewertet die Gesamtleistung und die Entwicklung. Ihre Auswirkungen werden wir erst kennen, wenn die ersten Lernenden ihre Ausbildung abschliessen und auf dem Arbeitsmarkt bestehen können.


Lidl: Steven Meier

Antwort 1: Seit unserer Markteinführung 2009 etablierten wir uns im Schweizer Detailhandel und schufen über 4500 Arbeitsplätze. Unsere Philosophie ist einfach: «Lidl lohnt sich.» Wir bieten Qualität und Frische zu günstigen Preisen und fördern zukunftssichere Arbeitsplätze. Unsere Lehrstellen umfassen Berufe wie Detailhandels-fachleute und Kaufleute. Etwa 80% unserer Lernenden werden nach der Ausbildung übernommen, davon über die Hälfte in Führungs-positionen. Seit 2012 fördern wir unseren eigenen Nachwuchs mit «Vom Lernenden zum Geschäfts-führer». Wir sind die richtige Wahl für aufstrebende Detailhandelsprofis.

Antwort 2: Unsere Erfolgsstrategie für einen gelungenen Start in die neue berufliche Grundbildung basiert auf Offenheit für Veränderungen und aktiver Beteiligung. Wir bildeten frühzeitig eine Projektgruppe, führten regelmässige Updates durch und integrierten interne Teams. Dies förderte die Zusammenarbeit und den Erfolg unserer Umsetzung.

Antwort 3: Das Konzept, dass Lernende im Betrieb Praxisaufträge bearbeiten, funktioniert gut. Anfangs werden sie gut angeleitet und individuell begleitet. Die Praxisaufträge werden wöchentlich auf der Plattform Konvink bearbeitet und von Praxisbildner:innen n und -bildnerinnen bewertet. Regelmässige Vor-Ort-Besuche gewährleisten Qualität.

Antwort 4: Die Reform der Lehrberufe wurde in der Praxis gut aufgenommen. Die grösste Herausforderung stellt die Digitalisierung in den Filialen dar, insbesondere im Detailhandel. Wir kooperieren mit Lernenden, die Laptops haben, und haben Konvink auf den Filial-PCs hinterlegt, um digitalen Zugang zu ermöglichen.

Antwort 5: Die Bildungsreform bringt den Lernenden eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihren individuellen Kompetenzen. Für die Lehrbetriebe bedeutet sie eine Ausbildung, die stärker an der beruflichen Praxis ausgerichtet ist, sodass Auszubildende besser auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes vorbereitet werden.


Pius Schäfler: Mirjam Alice Fässler

Antwort 1: Ein Filialbetrieb mit neun Standorten in der Ostschweiz und 150 Mitarbeitern. Es werden 25ig Detailhandelsfachleute EFZ Papeterie & Spielwaren ausgebildet. Eine lernende Person bilden wir im kaufmännischen Bereich aus. Ich bilde seit 16 Jahren Lernende aus. Ich mache das gerne, weil ich es wichtig finde, den jungen Menschen etwas weiterzugeben und ihnen mit Wissen und Erfahrung zur Seite zu stehen.

Antwort 2: Das Erfolgsrezept war es immer, auf dem neusten Stand zu bleiben. Ich habe viel Zeit in mein Einarbeiten in die Reform gesteckt. Durch mein Engagement in der Berufsschule Arbon und auch in der Prüfungskommission Thurgau hatte ich den Vorteil, Informationen sehr früh mitzubekommen.

Antwort 3: Anfangs benötigen unsere Lernenden eine klare Einführung und eine Überprüfung des Terminierens der Aufträge und deren Ausführung. Ab dem zweiten Lehrjahr erledigen sie dies aber meist selbstständig. Es ist wichtig, ihnen den Nutzen dieser Praxisaufträge klarzumachen.

Antwort 4: Es gab zu Beginn mit der Lernplattform Konvink einige Schwierigkeiten. Niemand wusste, wie diese funktioniert. Wir haben das Wissen all unserer Filialen gebündelt und uns oft ausgetauscht. Auch der HKB orientierte Unterricht war für alle neu. Die Lernenden und Lehrkräfte mussten sich zuerst zurechtfinden. Mittlerweile klappt die Umsetzung aber sehr gut.

Antwort 5: Die Reform steigert die Selbstorientierung der Lernenden. Sie setzt ihnen weniger Grenzen und lässt verschiedene Lernwege zu. Uns als Betrieb ist positiv aufgefallen, dass sie durch diese Reform auch schneller im Berufsalltag ankommen, da sie in der Schule nun mehr auch Fähigkeiten erwerben, die sie im Arbeitsalltag brauchen können.


Schweizer Reisekasse: Myriam Meier, Berufsbildnerin

Antwort 1: Die Schweizer Reisekasse (Reka) Genossenschaft ist eine Non-Profit-Organisation in Bern mit ungefähr 130 Mitarbeitenden am Hauptsitz und zusätzlich ca. 400 in Ferienanlagen. Wir bilden immer etwa fünf Kaufleute EFZ aus. Ich begleite seit fünf Jahren Lernende und Reka bietet schon viel länger Ausbildungsplätze an. Ich teile mein Wissen gerne und begleite Lernende mit Leidenschaft.

Antwort 2: Ich bereitete mich intensiv auf die Reform vor, besuchte Schulungen, recherchierte im Internet und tauschte mich mit Fachleuten aus. Im August starteten wir frühzeitig und legten Wert auf die die rechtzeitige Anpassung.

Antwort 3: In der Praxis weisen wir gezielte Praxisaufträge zu, fördern eigenverantwortliches Arbeiten und bieten kontinuierliche Unterstützung und Feedbacks. So stärken die Lernenden ihre Fähigkeiten und ihren Bezug zur beruflichen Realität.

Antwort 4: Die Betreuung von unseren Lernenden nach altem und neuem BiVo-System kann anspruchsvoll sein, aber die Lernenden helfen mir dabei, den Überblick zu behalten und die Systeme nicht zu vermengen. Bei Herausforderungen suche ich Unterstützung bei Berufskollegen, der Berufsschule oder wende mich an den kaufmännischen Verband.

Antwort 5: Die Reform passt die Grundbildung an die aktuellen Arbeitsanforderungen an, fördert Digitalisierung und Selbstständigkeit der Lernenden. Sie erleichtert die Verknüpfung von Berufsschule und Lehrbetrieb.


Schweizerisches Rotes Kreuz: Erika Schreiber

Antwort 1: Die SRK-Geschäftsstelle Bern (GS SRK) hat 500 Mitarbeitende, davon sieben KV-Lernende sowie Mediamatiker:innen, Polygraf:innen und ICT-Fachleute. Die Ausbildung junger Erwachsener ist für uns wichtig, damit wir ihnen einen erfolgreichen Start ins Erwerbsleben ermöglichen können. Gleichzeitig investieren wir in die Zukunft, indem wir qualifizierte Lernende gerne nach der Lehre weiterbeschäftigen.

Antwort 2: Eine erfolgreiche Umsetzung erforderte frühzeitige Ressourcenbereitstellung für Planung und Schulung. Erfahrene Praxisbildner:innen, die sich auf «Try and Error» einliessen und bei der Ausbildungsplanung halfen, spielten eine wichtige Rolle.

Antwort 3: Die Praxisaufträge werden weitgehend eigenständig bearbeitet, doch die Lernenden werden ermutigt, bei Fragen proaktiv zu sein.

Das Feedback der Praxisbildder:innen erfolgt entweder direkt in Konvink oder persönlich nach Abschluss des Projekts, und die zeitliche Planung wird frühzeitig abgestimmt.

Antwort 4: Die umfangreichen Praxisaufträge lassen weniger Zeit für die fachliche Ausbildung der Lernenden, was sich fortlaufend bestätigt. In einigen Fällen können spezifische Praxisaufträge in den Abteilungen nicht umgesetzt werden, weshalb Einsätze in anderen Abteilungen organisiert werden, um die Aufträge zu erfüllen. Hierbei ist Kreativität gefragt.

Antwort 5: Um auf die anstehenden Veränderungen im Arbeitsmarkt vorbereitet zu sein, war eine Reform nötig. Heute braucht es neues Fachwissen und Fähigkeiten u.a. Kreativität, Kollaboration und digitale Kompetenzen. Diese werden in den Handlungskompetenzen vermittelt und die Lernenden werden dadurch bereits in der Lehre optimal auf die Herausforderungen der Arbeitswelt 4.0 vorbereitet.


Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI): Barbara Atieno

Antwort 1: Das SBFI beschäftigt rund 300 Mitarbeitende. Wir bilden insgesamt 12 kaufmännische Lernende aus. Als Berufsbildnerin bin ich seit 2009 tätig, seit 2020 als Hauptverantwortliche im SBFI. Der Umgang mit jungen Menschen und die Wichtigkeit einer Ausbildung sind meine wichtigsten Gründe, warum ich Lernende ausbilde.

Antwort 2: Die Implemtierung wurde bei uns zentral durch das Eidgenössische Personalamt, Berufliche Grundbildung gesteuert. Für mich als Berufsbildnerin war es sehr wichtig, zeitnah alle erhaltenen Informationen direkt an die betroffenen Praxisbildner:innen weiterzuleiten. Auch um offene Fragen schnell und direkt klären zu können. Dies hat einen grossen Teil der Angst vor dem Neuen genommen!

Antwort 3: Die Praxisaufträge lassen sich sehr gut mit Aufgaben aus dem täglichen Berufsleben kombinieren. Dies hat auch die Einführung deutlich erleichtert! Eine von vier Lernenden hat bereits Mitte Dezember 2023 sämtliche Praxisaufträge für das erste Semester erfolgreich abgearbeitet.

Antwort 4: Im SBFI rotieren die Lernenden alle 6 Monate. Die Praxisaufträge bringen mehr auf Aufwand mit sich, um den Rotationsplan zu gestalten, da wir neben 4 Lernenden nach neuer Bivo auch noch 8 Lernende nach alter Bivo beschäftigen. Auch für die Praxisbildner:innen bedeutet dies, dass sie flexibler sein müssen: sie müssen beide BiVo kennen und anwenden können.

Antwort 5: Für mich persönlich ist es zu früh, um nach einem knappen Semester ein Fazit zu dieser Frage ziehen zu können. Ich bin aber überzeugt, dass eine Veränderung im Beruf immer eine neue Chance ist.




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